80 Mathias und die Quetzaltrekkers Pt.2 – 87 Kurven in die Verdammnis, Sternenhimmel deluxe und der Chaoshof von Don Giovanni

Tag 3
Der Wecker geht um 3:30 Uhr. Ach, ist das herrlich. Und es gibt noch nicht mal Frühstück. Es hat die ganze Nacht aus Eimern geschüttet, da steht dem Spaß eigentlich nichts mehr im Wege. Ich denke jeder kann mich verstehen. Wer steht schon gerne so früh auf. Aber im Endeffekt ist es gar nicht so schlimm. Also schon, nur nicht das, was ich eingentlich dachte. Ich hätte erwartet, dass es sehr schlammig und kalt wird. Das ist es zum Glück nicht. Wir sind einfach noch nicht hoch genug, dass es so kalt wäre und der Boden ist zu sehr mit Felsen vermischt um schlammig zu sein. Das ist auf jeden Fall super. Aber die ersten 1,5 Stunden geht es trotzdem nur bergauf.

Es ist stockdunkel. Zum Glück haben wir Stirnlampen. Man sieht nichts außer dem Schein vor seiner Nase. Es ist ziemlich steil. Linkskurve. Rechtskurve. Linkskurve. Rechtskurve. Insgesamt 87 gottverdammte Kurven schrauben wir uns diesen Berg hoch. Ich fange nach kurzer Zeit an zu schwitzen. Der Schweiß sammelt sich in meinem Gesicht, tropft irgendwo runter oder wird von mir irgendwohin gewischt. Die Wanderstöcke, die ich heute zum ersten Mal verwende sind dabei keine große Hilfe. Die Stirnlampe zieht Fliegen an, die mir zusätzlich vor der Nase rumschwirren. Eine davon atme ich sogar ein und schaffe es erst sie 10 Minuten später in hohem Bogen auszuhusten. Das habe ich auch noch nicht erlebt…

Doch die Strapazen lohnen sich. Oben angekommen sehen wir einen tollen Sonnenaufgang. Es sind zwar ein paar Wolken am Himmel, aber dafür haben wir schönere Farben. Nachdem die Sonne vollends aufgegangen ist und ich das 100ste Foto gemacht habe, läuten auch schon die Frühstücksglocken.

Sonnenaufgang

Sonnenaufgang

Sonnenaufgang

Frisch gestärkt machen wir uns wieder auf den Weg. Nach kurzer Zeit stehen wir von einem Holztor. Eine Legende besagt, dass man eine Frage beantworten muss bevor man hindurch geht, da man sonst wieder an den Fuß des Berges teleportiert wird. Keiner von uns will das wirklich nochmal machen. Madison stellt die Frage: Was wäre deine Henkersmahlzeit? Das ist mehr oder weniger einfach. Döner vom Ilan und das Gulasch meiner Mama 😉

Das geheimnisvolle Tor

Nachdem das erledigt ist, geht es aber immer noch weiter nach oben, auch wenn es nun nicht mehr so steil ist. Die Landschaft hat sich mittlerweile schon stark verändert. Wir haben ja auch schon ein paar Höhenmeter gemacht heute. Ungefähr 960m.

Als wir das Hochplateau Altiplano erreichen mache ich drei Kreuze. Den Rest des Tages mache ich keinen Höhenzentimeter mehr. Hab ich da was zusammengeflucht am Morgen ;-P Die Ebene besticht aus viel Gras, in Waldabschnitten eher Moos.

Der Wald

Der Wald

Außerdem ist die Landschaft durchsetzt von Steinen und Felsen. Die Aussicht von oben ist herrlich, auch wenn die Wolken relativ schnell die Vulkane der Umgebung verdecken.

Steine und Felsen

Die Aussicht vom Plateau

Trotzdem bekommen wir für kurze Zeit den Vulkan Santa Maria zu Gesicht. Hier machen wir auch erst mal eine ausgiebige Pause, bevor es weiter geht.

Santa Maria ganz klein im Hintergrund

Pause

Pause

Je länger wir auf dieser Ebene unterwegs sind, desto mehr erinnert mich die Landschaft an Teile aus Herr der Ringe. Hier hätte man bestimmt den ein oder anderen Dollar an Produktionskosten sparen können.

Die Hochebene

Die Hochebene

Die Hochebene

Die Hochebene

Die Hochebene

Es macht richtig Spaß hier zu laufen. Nicht zuletzt deshalb, weil wir hier auch nebeneinander laufen und uns besser unterhalten können.

Zugegeben, ein paar Höhenmeter machen wir doch noch. Diesmal aber in die andere Richtung. Bevor wir in Paijul Pais ankommen, geht es für kurze Zeit bergab. Das Dorf ist am Hang eines Tales gelegen und bietet eine wunderschöne Aussicht auf die andere Seite. Der Weg ist relativ schlammig und lässt erahnen, was die Leute hier täglich durchmachen. Ich gehe mal davon aus, dass hier kein Kind Rollerblades fahren kann. Autos gibt es hier übrigens auch nicht…Unmöglich. Das ganze Zeug wird mit Mauleseln transportiert.

Aussicht ins Tal

Die Hauptstraße

Um 15:30 Uhr sind wir endlich da. Heute waren wir wirklich lange unterwegs. Die Kinder des Dorfes rufen uns zu und freuen sich über unsere Ankunft. Dauernd sagen sie „Mania“. Was war das nochmal? Ach, stimmt. Das heißt Erdnuss. In Mexiko sagt mal „Cacahate“. Sie sind schon darauf geeicht, dass die Gruppen einen Erdnussmix im Gepäck haben… Die Schnorrer!

Wir genießen den Sonnenschein und sitzen im Garten des Hauses, in dem wir heute übernachten. Jetzt freue ich mich auf eine Dusche… Ach nee, die gibt es hier ja gar nicht. Aber immerhin haben sie einen großen Wasserbottich da stehen. Mir ist das piepegal, also nehme ich eine kleine Schüssel und „Dusche“ mich im Garten. Beste Entscheidung des Tages! Abgesehen davon, dass ich die Wanderstöcke ausgepackt habe…

Unterkunft

Um 18 Uhr gibt es bereits Abendessen bei einer Familie im Dorf. Mal wieder Bohnen und Reis. Dazu ein furz trockenes und kaltes Stück Huhn.

Abendessen

Als wir wieder draußen im Garten sind, sehen wir einen atemberaubenden Sternenhimmel. Schon lange nicht mehr eine so klare Nacht gehabt. Vielleicht im Barranca del Cobre im Norden Mexikos. Aber klar, hier am Arsch der Räuber gibt es ja auch fast keine Lichtverschmutzung. Patrick und ich sind beide im Fotomodus. Er hat sogar ein Stativ dabei. Hier sollte man doch eine ordentliche Aufnahme hinkriegen. Zum Glück hab ich Fuchs, nach dem ich im Barranca del Cobre war (und kläglich daran gescheitert bin), ein paar Screenshots gemacht, wie man einen Sternenhimmel fotografiert 😉

Sternenhimmel

Um 21 Uhr ist das Licht auch schon wieder aus, wir sind alle platt. Ich notiere noch ein paar Gedanken, damit ich mir diesen Bericht nicht aus den Fingern saugen muss, lese noch ein halbes Kapitel und mache dann auch die Augen zu.

Mitten in der Nacht drehen plötzlich alle Hunde im Dorf total durch. Was ist denn hier los? Die bellen wie verrückt. Von oben, von unten, sogar direkt vor unserer Tür haben sich zwei postiert. Ich habe als letztes das Haus/den Raum betreten und die Tür nur etwas fester angelehnt, weil sie so laut war. Hoffentlich kommen die nicht rein, sonst gibt es hier Highlife in Dosen…

Tag 4
Die Hunde sind zum Glück nicht eingebrochen, hatten aber nochmal einen weiteren Anfall. Es gibt wirklich Leute aus unserer Gruppe, die das nicht wahrgenommen haben. Manchmal beneide ich solche Menschen…

Um 7 Uhr sind wir bereits auf dem Weg bergab ins Tal. Es ist nicht unbedingt trockener geworden seit gestern. Wir mühen uns um ein paar Schlammfelder herum, aber im großen und ganzen bleiben wir trocken und sauber. Madison meint, sie hätte das schon ganz anders erlebt. Auf dem Weg nach unten können wir schon den Fluss rauschen hören. Hier gibt es dann auch das lange ersehnte Frühstück.

Bergab ins Tal

Der Fluss

Der Frühstücksplatz

Danach gehen Patrick und ich noch einen kleinen Pfad am Fluss entlang. Warum ich auf die Idee gekommen bin dabei eine fast volle Tasse Kaffee mitzuschleppen kann ich mir jetzt auch nicht mehr erklären. Es war auf jeden Fall eine ziemliche Sauerei…

Der Tassenmann

Wenn man irgendwo bergab geht, heißt das auf der anderen Seite aber meistens auch, dass man wieder bergauf gehen muss. War ja klar. Es ist hier ebenfalls etwas Schlamm um den wir teilweise manövrieren müssen, aber es hält sich in Grenzen. Den ganzen Weg werden wir beschallt von Banda Musik aus dem Dorf auf der anderen Seite. Man kann in Lateinamerika wirklich sein wo man will, selbst am größten Arsch der Welt, aber irgendwo donnert irgendein Bass und man hört ein Gedudel. Wenigstens werden wir mit einer kleinen Pause und einer tollen Aussicht belohnt.

Aussicht

Aussicht

Irgendwann öffnet sich der Weg und wir haben ein kleines Dorf vor unserer Nase. Auf dem Weg dahin sieht man das Elend der fehlenden Infrastruktur und Bildung. Hier ist alles voller Müll. Naja, bei uns sieht es zwar nicht so aus, aber wie ich vor kurzem gelesen habe produzieren wir pro Kopf mit am meisten Plastikmüll in Deutschland. Wir schiffen es dann (unter noch höherem CO2 Ausstoß) einfach nach China und die Verbrennen es dann für uns. Naja, haben sie zumindest einmal, jetzt glaube ich nicht mehr. Die überlegen erste Welt. Aus den Augen, aus dem Sinn…

Müll

Mittlerweile versteht sich die Gruppe recht gut. Man kennt sich jetzt auch schon ein paar Tage und hat etwas gemeinsam. Man entwickelt so langsam das Gefühl dafür, wie man mit seinem Gegenüber umzugehen hat.

Nach dem großflächig verteilten Müllhaufen wartet eine extreme Steigung auf uns. Madison erklärt, dass es mal einer in 4 Minuten da hoch geschafft hätte. Unser übermotivierter und etwas überdurchschnittlich klugscheißender Jungspund aus Belgien, der mir regelmäßig ins Wort fällt, weil Mama und Papa ihm offensichtlich nicht genug Beachtung geschenkt haben, nimmt die Herausforderung an und sprintet los. Er misst die Zeit selbst. Oben angekommen verkündet er, dass er es in 2:45 Minuten geschafft hat. Das von ihm erwartete tosende Gegröle bleibt aus. Vielleicht hätte er sich eine Zeit wählen sollen, die den Rekord um weniger als eine Minute überbietet. Aber er ist ja noch jung 😉

Der Hang

Da sowohl Patrick als auch ich eine starke Reaktion auf die ständigen Bohneninfusionen haben, bleibt das nicht lange unter uns. Die Gruppe darf auch mitlachen. Achja, treffen sich zwei Männer mit Fäkalhumor…

In einem kleinen Bergdorf machen wir Rast. Es gibt hier einen kleinen Laden, in dem wir uns ein paar Snacks kaufen. Ein Laden wirkt fast schon fremd. Und das nur, weil wir mal zwei Tage in der Pampa rumlaufen.

Pause

Danach geht es eine ganze Weile geradeaus. Die Guides machen uns etwas Feuer unter dem Hintern, weil wir am Ende des Weges einen Bus nehmen müssen. Der letzte Fährt um 16 Uhr und den versuchen wir zu kriegen. Der Weg ist auch nicht allzu spektakulär. Wir befinden uns wieder auf einer Ebene und wir laufen auf einer kahlen Schotterstraße. Das einzige was mir hier auffällt ist, dass die „Grundstücke“ hier mit Steinmauern eingezäunt sind und auf den Steinmauern schöne rote Blumen wachsen. Die komplette Gegend ist eingezäunt. Alles voller Parzellen, aber die nicht auf jedem Grundstück steht ein Haus.

Mauern und Blumen

Mauern und Blumen

Nach eine paar Stunden machen wir halt in einem Innenhof, in dem wir auch zu Mittag essen. Hier gibt es schon wieder eine kleines Geschäft. Heute ist wohl unser Luxustag. Als Nachtisch holt sich jeder noch ein Eis. Das haben wir uns verdient.

Nach dem Eis

Wir gehen noch ein bisschen weiter die Straße lang und steuern geradewegs auf den Terror Hill zu. Fragt mich nicht warum. Ist wohl auch eher eine Erfindung rund um die Wanderung und nicht von den Einheimischen. Es geht ziemlich krass bergauf und man sieht den Berg schon eine ganze Zeit vorher.

Es gibt eine Regel der Guides die besagt, dass immer ein Guide ganz vorne und einer ganz hinten sein muss. Am Fuße dieses Berges macht Bryan den Fehler und läuft für ein paar Minuten zusammen mit Madison an der Spitze. Wir nutzen das sofort aus und verstecken uns alle hinter einer Mauer. Das muss ihm einen ganz schönen Schock versetzt haben. Wir haben Bryan noch nie so bleich gesehen. Lesson learned 😉

Vor dem Aufstieg

Terror Hill

Terror Hill

Terror Hill

Der Weg bergauf ist sehr mühsam, zumal man auch den ganzen Weg vor sich sieht und obwohl es gar nicht so weit aussieht, zieht es sich wie Kaugummi. Vielleicht heißt er deshalb Terror Hill. Oben angekommen werden wir dafür aber mit einer richtig tollen Aussicht über die ganze Ebene belohnt.

Aussicht

Geschafft

Aussicht

Geschafft

Da wir gut in der Zeit sind, können wir hier ein bisschen ausruhen und die Weite genießen. Jetzt geht es nur noch bergab und wir haben es für heute geschafft.

Als wir eine der ersten Häuser erreichen, kommen kleine Kinder aus einer Schule oder einem Kindergarten gerannt und geben mir Blumen. Das ist so süß. Schön, dass sie mich nicht nach irgendwas angegammelt haben. Passiert leider zu oft. Dafür bin ich dann auch nochmal umgedreht und habe ihnen zwei meiner Schokoriegel gegeben. In solchen Situationen gebe ich lieber, als wenn jemand nur dumm die Hand aufhält, weil ich eine andere Hautfarbe habe…

Der Blumenmann

Die Blumen

An der Hauptstraße angekommen warten wir auf das Collectivo. Es gibt schon wieder einen kleinen Laden. Hier gibt es sogar Bier. Patrick deckt sich direkt ein. Da wir die ganze Zeit Witze über „nur EiN Bier trinken gehen“ machen, ist es ein Selbstläufer, dass wir jede Gelegenheit nutzen.

Mit Bier und Blumen hüpfen wir dann in das Collectivo, das uns nach La Ventosa fährt. Dort verbringen wir unsere Nacht bei Don Giovanni und es gibt eine großen Topf mit Kartoffelbrei. Das ist alles was ich bis dahin weiß.

Als wir um ca. 16 Uhr vor Ort ankommen, erwartet uns ein reges Treiben. Nennen wir das Kind beim Namen: Es ist ein wildes Chaos. Der Hof beherbergt die ganze Familie. Was auch immer das heißen mag. Ich schätze mal um die 15 Kinder rennen hier rum, ca. 15 Hunde und etliche Erwachsene. Außerdem sehe ich auf dem Weg zu den Toiletten, Schweine, Schafe, Katzen, Babykatzen, Babyhunde und Kühe. Eine der Hunde hat nur noch ein halbes Ohr, das ihm wohl in den letzten 24 Stunden abgebissen wurde. Es hängt noch so halb am Rest des Tieres. Der Kopf ist blutverschmiert und das arme Vieh steht dauernd bei uns im Zimmer. Genauso, wie mindestens ein anderer Hund und auch 4-6 Kinder. Chaos eben…

Unsere Betten

Ich habe übrigens immer noch die Blumen der Kinder in der Hand und ich glaube ich konnte keine bessere Gelegenheit finden, als sie diesen beiden süßen Mädels in die Hand zu drücken. Ein Strahlen auf das Gesicht eines Kindes zu zaubern ist einfach etwas wunderschönes. Natürlich habe ich die Mädels gefragt, ob ich ein Foto von ihnen machen darf 🙂

Die Blumenkinder

Und wem es nicht aufgefallen ist: Das Mädchen rechts hat zwei verschiedene Schuhe an. Die Sandale, die sie links trägt, ist eigentlich für den rechten Fuß bestimmt.

Auch hier dürfen wir wieder das Temazcal benutzen. Diesmal ist es sogar noch enger. Danach gehen wir noch eine Runde durch das Dorf und sind pünktlich zum Abendessen zurück. Ein riesiger Topf Kartoffelpüree. Davor darf ich noch ein paar Bilder von den Kindern machen. Aber es ist leider unmöglich, dass sie alle zur gleichen Zeit still halten 😀

Der Pot

Die Kinder

Der Tag neigt sich dem Ende. Nach und nach gehen alle ins Bett. Morgen ist der letzte Tag. Zumindest der letzte an dem wir wandern. Zwischenzeitlich haben mir heute echt die Knochen weh getan. Erst nach der Mittagspause war es wieder gut. Darüber hinaus klagen einige, inklusive mir, über Schmerzen an den Hüften. An der Stelle wo der Rucksack am Beckenknochen aufliegt.

Aber das werden wir jetzt auch noch schaffen.

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