113 El Zopilote – Mein freier Tag oder ein Tag mit Christopher

Manchmal kommt es wie es kommen soll… oder so ähnlich.

Heute war wohl solch ein Tag. Christopher einer der Gäste in El Zopilote sitzt zur Mittagszeit im Restaurant und spricht mich an, ob ich einen Führerschein habe. Ich sage ja und damit ändert sich schlagartig alles, was ich mir vorgenommen oder erträumt habe.

Vielleicht sollte ich erst einmal kurz beschreiben, was es mit Christopher auf sich hat: Vor ein paar Tagen steht dieser Mann plötzlich da. Man braucht keinen zweiten Blick um zu erkennen, dass er wohl eher dem gleichen Geschlecht zugeneigt ist, vielleicht auch allen. Ich komme mit den ganzen Ausdrücken und neuen Geschlechtsformen nicht mehr klar. Das ist mir zu kompliziert. Zu Berlin, zu Tel Aviv und zu New York. Nicht, dass ich solche Einstellungen nicht respektieren würde, aber ich bin der Meinung, die Welt hat bedeutend andere Probleme zu bewältigen, als neue Kloschilder aufzuhängen oder Berufsbezeichnung bis zur Unkenntlichkeit zu verunstalten. In der Gesellschaft (grob gesagt Rucksackreisende, bevorzugt alternative Rucksackreisende) in der ich mich seit einiger Zeit bewege, ist so etwas nicht nötig. Sie benutzen nämlich das, was viele heutzutage nicht mehr haben. Gesunden Menschenverstand! Um es zu einem Ende zu bringen, Christopher wirkt und ist äußerst extravagant, bunt, schrill und durchgeknallt. Daher habe ich mich auch gewundert, dass ein Mensch von solchem Schlag, der normalerweise lieber in Boutique Hotels – oder was weiß ich was für „fancy“ Ausdrücke es da heute alles gibt – seinen Urlaub verbringt, sich hier anscheinend wohl fühlt.

Ich persönlich habe solch einen Charakter noch nie getroffen und versuche ihn irgendwo zwischen extrem positivem Menschen und Schwätzer einzuordnen. Ein sehr spiritueller Mensch, der in alles und jedem eine Verbindung sieht und es auch so verpacken kann, dass es dem Gegenüber gefällt.

Um jetzt zurück zum Thema zu kommen: Er hat sich ein ATV ausgeliehen, hat aber keinen Führerschein, wurde schon von der Polizei angehalten und musste diese bestechen und will jetzt jemanden mit einem Führerschein dabei haben, der ihn begleitet.

Also sitze ich eine Stunde später als Sozius auf einem Quad und wir brettern Richtung Moyogalpa, welches auf der anderen Seite der Insel liegt. Ungefähr 45 Minuten von El Zopilote entfernt. Wir fahren da hin machen noch einen Badestopp und um 18-18:30 Uhr bin ich wieder zurück zum Abendessen.

Die Rechnung habe ich zwar theoretisch, aber nicht praktisch mit Christopher gemacht.

Meinen ersten Fehler begehe ich, als ich ihn an der Abzweigung zum Ojo del Agua (natürliche Quellen) frage, ob er schon dort war. Ohne eine Antwort zu erhalten, biegt er ab. Wir scheinen da jetzt hin zu wollen!

Ein paar Minuten später stehe ich bei bewölktem Himmel in einem freibadähnlichem Konstrukt, dass mit Wasser aus natürlichen Quellen gefüllt ist und mache Bilder und Videos von Christopher, wie er im Yogasitz dahockend seine Spiritualität zur Schau stellt oder wie er mit einer Liane ins Wasser hüpft, aber nicht direkt loslässt, sondern erst nochmal an den Baum hinter sich knallt.

Nachdem wir die zweite Coco Loco (Kokosnuss mit Rum aufgefüllt) getrunken haben und er noch zig Nummern und Fotos mit 3 anderen Gruppen ausgetauscht hat, durfte ich dann mal die Mühle bedienen.

Nachdem er zuvor nicht besonders auf die Beschleunigungshubbel reagiert hat, fühle ich mich doch deutlich sicherer selbst zu fahren. Irgendwann tun einem die Arme weh, wenn man vor jedem Hubbel schon weiß, dass man gleich den Schleudersitz hat. Das ist Physik man, mich haut’s da hinten dermaßen vom Sitz Junge….

Mein erstes Mal ein Quad zu fahren, hätte ich mir sicherlich anders vorgestellt. Ich habe schon einige Sachen zum ersten Mal in meinem Leben gemacht… Aber ich werde bestimmt nicht vergessen, wie und wann ich das erste Mal auf einem Quad gesessen habe. Nämlich als ich in Ometepe nach zwei Coco Loco in einem natürlichen Freibad den durchgeknallten Christopher durch die Gegend gekutscht habe…

Da wir schon viel länger als geplant unterwegs sind und ich zwischenzeitlich schon mit der „Quad Vermietung“ gesprochen habe, geht mir etwas die Arschklammer, dass ich eventuell heute Abend nicht mehr zurück komme. Ich hole alles aus diesem Teil auf 4 Rädern heraus. Aber… ich bremse rechtzeitig ab, bevor wir über einen Hubbel fahren.

Zwischenzeitlich geraten wir noch in eine Polizeikontrolle (der Grund warum ich überhaupt hier sitze) und alles läuft ohne Probleme. Abgesehen davon, dass er die Polizisten anspricht, als würden sie sich schon das Xte Mal sehen und erzählt ihnen in seinem exzentrischen Englisch, wie es ja das letzte Mal war und dass er ja jetzt einen Fahrer hat und er vorher keinen Führerschein hatte und das wir ja alle so verbunden sind und das es morgen kunterbunte Kühe regnet und wir uns alle so lieb haben usw. Der Blick des Polizisten, der mich dabei anschaut spricht Bände…

Da wir genau zur richtigen Zeit am Punta Jesu Maria vorbeifahren, mache ich jetzt ohne eine Ankündigung einen Schlenker und biege ab. Punta Jesu Maria ist der wohl schönste Aussichtspunkt für den Sonnenuntergang auf der Insel, wenn man am Strand sein will. Da ich leichten Druck mache, bleiben wir tatsächlich auch nur für ein paar Fotos, können es aber beide genießen. Ich bzw. er hat es tatsächlich geschafft, dass ich im selben Moment ein Foto von ihm mache, als im Hintergrund ein Blitz, etwas seitlich vom Vulkan durch den Himmel schießt. „Let’s make things happen…“ waren seine Worte dazu…

Wieder unterwegs fällt mir erneut auf, wie absurd es ist, dass man um nach Moyogalpa zu kommen tatsächlich über die Landebahn des hiesigen Flughafens fahren muss. Lediglich begrenzt durch eine Bahnschranke, die nur geschlossen zu sein scheint, wenn ein Flugzeug startet oder landet.

Unmittelbar nachdem wir die Ortschaft Moyogalpa erreicht haben, fängt uns einer der Besitzer schon mit dem Roller ab und scheint schon auf uns gewartet zu haben. Dann geht der Spaß weiter. Er geleitet uns zu seinem „Office“, dass ich nicht wirklich ausmachen kann. Keines der Gebäude scheint den Eindruck zu machen. Alles ist dunkel. Christopher fragt als erstes, ob er mit Karte zahlen kann. Die Antwort hätte ich ihm auch geben können. Natürlich nicht! Blöder Ami…

Da der Quad sowieso noch vollgetankt werden muss, fahren wir nach einigem hin und her zur Tankstelle. Dazwischen stehe immer ich, der das ganze versucht so gut es geht zu dolmetschen.

Wir tanken also und Christopher geht zur Bank in der Nähe, um Geld abzuheben. Leider kommt er ohne selbiges zurück. Also versucht er zunächst mit einer Transaktion in der Tankstelle Bargeld zu bekommen. Das klappt nicht, also telefoniert er eine ganze Weile mit seiner Bank.

Der letzte Bus zurück wäre um 19 Uhr gefahren, den haben wir mittlerweile verpasst. Wie wir erfahren sind am Sonntag darüber hinaus auch keine Tuktuks oder Taxis unterwegs. Also bleibt uns nur übrig den Quad nochmal zu nehmen oder im schlimmsten Fall hier zu übernachten und morgen irgendwie zurück zu kommen. Das passt mir aber nicht so wirklich in den Kram. Ich will heute noch zurück.

Nach etlichen weiteren Diskussion steht fest, dass er das ATV, wegen dessen Rückgabe wir schließlich hier sind, nochmal für 2 Tage leihen wird/muss. Diesmal muss er aber seinen Reisepass als Pfand da lassen.

Durch all die Aufregung gehen wir erst einmal ein Bier trinken, bevor es weiter geht. Eine typische lateinamerikanische Bar, des einfachen Mannes. Frauentoiletten existieren hier entweder nicht oder werden wahrscheinlich nicht öfter als 5 mal im Jahr verwendet. 2 Mal davon eventuell von Frauen. Der Barkeeper ist selbst so besoffen, dass er sich nicht artikulieren kann und ich für ihn die Rechnung machen muss. Immerhin schafft er es bis an den Kühlschrank und zurück ohne größere Schäden anzurichten.

Mit Christophers Smartphone kann ich noch im Hostel anrufen und sagen, dass ich später komme. Ich will ja schließlich noch etwas zu Abend essen.

Auf dem Weg zurück nehmen wir noch einen armen Drunkenbold mit, der wohl ohne uns noch ein paar Stunden gelaufen wäre. Wir ersparen ihm zwar nicht den ganzen Weg aber eine ordentliche Teilstrecke. Überdurchschnittlich angetrunken kommen ihm die Tränen, als er sich bei uns verabschiedet und bedankt.

Auf der Schlussgerade schießt er nochmal den Vogel ab. Wir registrieren beide, wie schön der Himmel ist. Kaum Wolken zu sehen, nur an den äußeren Rändern. Er dreht sich zu mir um und meint vollen Ernstes: „Wenn du nach oben schaust, kann ich ein paar Sternschnuppen für dich machen!“ Ich sitze hinter ihm und weiß nicht, ob ich schreiend vor Lachen vom Quad fallen soll, oder ob ich zu weinen anfangen soll. Ich zeige keine Reaktion und entscheide mich für ein inneres Kopfschütteln. „Warum habe ich ‚ja‘ gesagt!!!?????“

Eine bis zwei Minuten später dreht er sich wieder rum und sagt: „Du kannst sie wahrscheinlich nicht sehen, weil die aufziehenden Wolken es verdecken!“ …ohne Worte…!

Natürlich machen wir noch einen weiteren Zwischenstopp. Little Morgans. Ein weiteres kleineres Hostel mit Strandzugang, aber mehr aufgezogen als eine Bar. Es gibt hier beispielsweise einen Billardtisch.

Natürlich kennen ihn die 4 Personen die da sitzen und es wird sich ausgiebig begrüßt. Nachdem er noch eine Runde Bier geholt hat und ich die Rechnung seines letzten Besuches gezahlt habe, hauen wir dort endlich ab.

Der Weg vom Parkplatz hoch zum Restaurant sind vielleicht etwas weniger als einen Kilometer, aber da es eben nicht beleuchtet ist und ich weder meine Stirnlampe noch mein Handy dabei habe, stolpere ich mir den Weg so schnell ich kann den Berg hoch, um noch rechtzeitig meinen Rucksack aus der Rezeption zu holen und vielleicht noch mein Abendessen zu ergattern.

Es ist 10:02 Uhr als ich kurz vor dem Restaurant bin. Ich sehe Lichter auf mich zukommen und ich weiß, ich habe mein Rennen verloren. Meine Bettelei hilft leider auch nichts und ich bekomme meinen Rucksack, indem sich meine Taschenlampe, meine Zahnbürste und mein Handy befinden heute Abend nicht wieder. Abendessen kann ich mir auch abschminken.

Jetzt bin ich wirklich angepisst, aber ich kann es nicht ändern. Der 15 minütige Weg zu meinem Bett regt mich noch mehr auf, weil ich wirklich blind durch die Gegend stolpere und es dank bewölkten Himmel stockdunkel ist.

Letzten Endes hat Christopher mir einen Tag beschert, den ich beim besten Willen nicht vergessen werde. Es war ein Riesenchaos! Für ihn hat sich, obwohl er nichts erreicht hat, alles zum Guten gewendet („It meant to be!“) und ich habe sowohl das Geld zurückbekommen, welches ich ihm vorgestreckt habe, er hat aber bis dahin auch schon den Eintritt und alle Getränke bezahlt. Auch wenn ich mich über diesen Spinner lustig mache muss ich dennoch zugeben, dass er ein gigantisch großes Herz hat. Mittlerweile habe ich schon viele Menschen und vor allem Typen von Menschen getroffen. Aber so einer ist mir noch nie untergekommen. Ein Mensch der in Erinnerung bleibt.

Dies war definitiv einer meiner verrückteren Tage!!!

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