54 San Diego – Zurück in der ersten Welt und der American Dream in Bus Nummer 35

San Diego gefällt mir. Eine echt schöne Stadt. Vielleicht ist es nach so einer langen Zeit auch einfach mal wieder schön zu sehen, wenn Häuser und Straßen intakt sind, alles sehr sauber ist und man weiß, dass man alles, alles, alles irgendwo im Umkreis von 30km besorgen kann. Naja, vielleicht nicht gerade ein Döner vom Ilan, aber ansonsten alles ;-P

Es ist schon krass, dass in dieser Stadt je nachdem, wo man sich befindet eher Spanisch als Englisch gesprochen wird. Aber man kann halt auch einfach über die Grenze marschieren und ist in Mexiko.

Ich habe meine Unterkunft in Downtown gewählt. Das Viertel nennt sich Gaslamp Quarter. Ein wirklich ansehnlicher Stadtteil mit viel Ausgehmöglichkeiten. Café’s und Bars nebeneinander, gepaart mit schöner Architektur.

San Diego

Man kann sich hier ein 4 Tagesticket für die öffentlichen Verkehrsmittel für einen guten Preis kaufen. Das passt perfekt!

Nachdem ich zufällig an der Cheesecake Factory vorbeikomme, kann ich natürlich nicht widerstehen.

San Diego

San Diego

Aber 8 $(!) für die Basisversion des Käsekuchens. Ernsthaft?!

Wenn ich schon mal hier bin, werde ich auch ein paar Sachen einkaufen. Meine Schuhe sind beispielsweise bald hinüber. Die Sohle habe ich vor ein paar Wochen schon geklebt und sie haben mittlerweile auch schon Löcher an manchen Stellen. Das Angebot ist in Mexiko nicht sonderlich groß. Die angesagten Modelle von Nike und Co findet man natürlich, aber ob es abgesehen von Mexiko City ein Outdoor Geschäft gibt, in dem ich halbwegs ordentliches Schuhwerk bekomme, wage ich zu bezweifeln.

Was mir schon am ersten Abend auffällt, wie viele Obdachlose es hier gibt. Da ist mir erst mal die Kinnlade runtergeklappt. Obwohl die Stadt durch ihre Grenznähe sehr durch einen mexikanischen Bevölkerungsanteil geprägt ist, sind es aber trotzdem fast nur weiße und eine handvoll schwarze Penner, die ich sehe. Vietnamveteranen mit ihren Rollstühlen und Krücken. Alte und weniger Alte mit ihren Einkaufs- oder Bollerwagen mit ihrem Hab und Gut darauf. Mit jedem, mit dem ich mich bis dato darüber unterhalten habe, ist nur die Reaktion gekommen: „San Francisco ist schlimmer!“.
Ah, dann ist das ja völlig in Ordnung…

Am zweiten Tag bin ich mehr als 5 Stunden quer durch die Stadt zu Fuß unterwegs. Es ist völlig egal, wo man ist. Im Park, in Wohnvierteln oder Downtown. Überall liegen sie rum und vegetieren vor sich hin. Arme Opfer der Gesellschaft.

Kurz vor Sonnenuntergang düse ich einmal quer durch die Stadt, um selbigen am Ocean Beach zu sehen. Im Bus 35 bekomme ich dann das ganze Elend zu Gesicht.

Im Bus sitzen die Ärmsten der Armen. Ein Vietnam Veteran, der nicht als Held, sondern als psychisches Wrack zurückgekehrt ist. Dem aber sein Vaterland jegliche Unterstützung verwehrt, dafür, dass er für eine bewiesene und mittlerweile von der US Regierung zugegebene Lüge, die Hölle nach Vietnam und schlussendlich in seinen Geist gebracht hat.

Eine junge Dame in meinem Alter, die voller Leben stecken und unter anderen Bedingungen durchaus nach etwas aussehen könnte. Aber verschlissen und mit leerem Blick vor sich hin trottet. Beim Aussteigen sehe ich die Einstichlöcher und blaue Flecken in ihren Kniekehlen.

Alte Menschen, denen man ansieht, dass sie zwar nicht obdachlos sind, aber nicht viel dazu fehlt und jede Sekunde ihres Lebens bestimmt davon ist. Jetzt bloß nicht krank werden…

Schon am Abend zuvor sitze ich im Trolley (der Tram) und höre einen Obdachlosen sagen, dass er sich hier mal eine Runde in die Bahn setzt, weil er total durchgefroren ist. So viele, einfach überall…

Im ganzen Bus riecht es nach Kleidern, die schon seit Jahren nicht mehr gewaschen wurden, in Kombination mit kaltem Rauch. Dazu natürlich die obligatorische Alkoholfahne. Ich bin nicht sonderlich empfindlich. Wer eine solche Reise macht, kann/sollte nicht besonders empfindlich sein. Aber ich ekele mich und kann mich nicht daneben setzen. Dafür schäme ich mich. Ich bin der Einzige der steht und ich habe das Gefühle, dass jeder weiß warum.

Vielleicht ist es auch weniger das Offensichtliche, was mich so anekelt, sondern eher diese Hilflosigkeit und die Ignoranz der Gesellschaft, die mich lähmt.

Und ja, für den ein oder anderen lasse ich das Argument gerne zählen, dass sie sich nicht genug angestrengt haben bzw. sich ihrem Schicksal hingegeben und mancher sich sein Schicksal selbst zuzuschreiben hat durch beispielsweise den Drogenkonsum. Aber wenn hier alles voll von Obdachlosen ist, stimmt etwas am System nicht. Sie leben in einem der reichsten Länder der Welt, aber in diesem Gesellschaftsmodell gibt es keinen Platz mehr für Arme und Schwache. Stichwort „Tafel“ Deutschland. Dort müssen Arme und Schwache seit Jahren unterstützt werden. Das Geld kommt aber nicht von Vater Staat, der seit Jahren schwarze Zahlen schreibt und dessen Handelsbilanz von einem Rekordüberschuss in den nächsten stolpert… und jetzt kommt auch noch der grundsätzlich asoziale Ausländer und will auch noch was zu fressen…

Ok, ich schweife ab. In Mexiko sehe ich hier teilweise einen Unterschied. Deren Gesellschaft ist zwar nicht so „hip“ und „toll“, wie die westliche, aber sie haben eben noch Werte wie Zusammenhalt und Familie, die dort etwas bedeuten. Die Leute werden eher aufgefangen und nicht verstoßen bzw. alleine gelassen. Aber dieses Gesellschaftsmodell scheint hier natürlich langfristig auch zu kippen.

Ich kann beim besten Willen nicht verstehen, wie ein Land wie die USA ein Vorbild in der Welt sein kann. Dazu noch eine Art Weltpolizei und sich selbst als Anführer sieht.

Bitte versteht mich nicht falsch. Ich kenne genug US Amerikaner und habe auch schon einige auf meiner Reise kennengelernt. Ich habe unter anderem mit Waffenbesitzern über Waffen gesprochen, mich als Pazifist geoutet, der Waffen grundsätzlich ablehnt, ohne dass es dabei zu hitzigen Diskussionen gekommen wäre. Aber es waren eben auch Menschen, die mal über den Tellerrand blicken, die Fehler im System selbst erkennen und kritisieren und nicht alles glauben, was FOX ihnen auftischt… Kurz gesagt, ich kritisiere das System, nicht das Individuum.

An meinem vorletzten Tag bin ich dann mit meinen alten Schuhen durch die Straße gezogen und hab mal ein paar Männer angehauen, ob sie meine alten Schuhe wollen. Nachdem kein direktes Interesse bestand, hat einer gemeint ich solle sie einfach irgendwo auf dem großen Platz abstellen und jemand der sie braucht, würde sie dann schon nehmen. Als ich zwei Stunden später nochmal vorbeigekommen bin, waren sie weg. Ein gutes Gefühl!

Aber zum Schluss noch etwas Positives: Ich habe mich nach 8 Monaten wirklich sehr darüber gefreut, dass ich endlich mal wieder das Toilettenpapier ins Klo werfen konnte und nicht in einen Mülleimer daneben.

Gott schütze Amerika!

Ende der Durchsage!!!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.